Literatur zum Krisenmanagement

Zustand und Zukunft des Bevölkerungsschutzes in Deutschland
Lessons to learn
Beschreibung
Das System des deutschen Bevölkerungsschutzes hat sich über Jahrzehnte entwickelt. Für die in Deutschland häufiger vorkommenden Gefahren (Stürme, Hochwasser, Starkniederschläge, Hagel, Schnee, Explosionen, Großunfälle) hat es sich in mancher Hinsicht bewährt, es weist aber nicht erst seit der Geflüchtetenkrise (2015/2016), der Corona-Pandemie (2019 bis heute) oder dem Hochwasser in Folge von Starkniederschlägen (Juli 2021) auch gravierende Schwächen auf, insbesondere bei komplexeren Szenarien. Der Krieg in der Ukraine markiert die nächste Eskalationsstufe einer Dynamik, die die Welt in einen hoch fragilen Zustand gebracht hat. Mit anderen Worten: Krise ist kein Ausnahmezustand mehr, sondern „the new Normal“. War Bevölkerungsschutz bislang als bloßes Additiv zum von der Bevölkerung zu leistenden Selbstschutz bei räumlich und zeitlich begrenzten Schadereignissen angelegt, so geht es nun um die Frage, wie Gesellschaften zunehmend existenzieller werdenden, überwiegend selbstgemachten Krisen- und Katastrophenrisiken vorbeugen und unvermeidbare Schäden auf ein Minimum reduzieren können. In diesem Bericht werden die Stärken und die Schwächen des Bevölkerungsschutzes aus Sicht eines sozialwissenschaftlichen Krisen- und Katastrophenforschers analysiert. Die Analyse gelangt zu dem Schluss, dass der Bevölkerungsschutz in seiner gegenwärtigen Struktur insgesamt nicht zeitgemäß ist. In den vergangenen Jahrzehnten wären Plädoyers für einen gänzlich anders ausgerichteten Bevölkerungsschutz auf taube Ohren gestoßen. An der Ideologie der betriebswirtschaftlichen Effizienz auch im Bevölkerungsschutz gab es kein Vorbeikommen. Dies veranlasste auch die Forschenden, von vornherein einen „Realo-Kurs“ einzuschlagen und die Ausgangs- und ideologisch geprägten Rahmenbedingungen zunächst als gegeben hinzunehmen und lediglich reformatorische Vorschläge zu unterbreiten. Wer ausgehend von den in den Sozialwissenschaften seit Jahrzehnten geführten Debatten das Ziel verfolgt, Impulse setzen, auf strukturell bedingte Fehlentwicklungen und existenzgefährdende Entwicklungen hinweisen und zugleich Handlungsoptionen aufzuzeigen zu wollen, der musste den Weg der kleinen Schritte gehen. Mit der Pandemie und nun dem Krieg in der Ukraine (der die Veröffentlichung des jüngsten IPCC-Reports „Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability“, der seinerseits gereicht hätte, die in diesem Bericht erörterten Entwicklungen zu unterstreichen, gänzlich zur Randnotiz hat werden lassen) scheinen Türen erstmals so weit geöffnet, dass es einen Resonanzboden geben könnte – zumindest für eine offene Diskussion darüber, ob nicht ein ganz anderer Ansatz erforderlich ist. Dieser Bericht versucht den Spagat. Aus vielen partiellen Kritiken am Bevölkerungsschutz werden zahlreiche „Lessons to learn“ abgeleitet, die eher reformatorischen Charakter haben. In der Summe dieser Kritiken aber lautet die Botschaft, dass ein Neuanfang zumindest gedanklich durchzuspielen ist. Es ist eine gänzlich anders gestaltete Architektur zu denken, die den Namen „Bevölkerungsschutz“ verdient, um mindestens frische Impulse zu generieren, die dann auch den Bevölkerungsschutz nachhaltig verändern könnten. Der Bevölkerungsschutz, so der Schluss, muss zum Teil eines Allgefahrenmanagements werden. Nicht die Katastrophenbewältigung, sondern die Prävention bzw. Minimierung von Risiken-, Krisen- und Katastrophenpotentialen muss das primäre Ziel sein, was alle Risiken und Gefahren für alle gesellschaftlichen Sphären einschließt und am Leitbild nachhaltiger gesellschaftlicher Transformation ansetzt. Eine allgemeine Daseinsvorsorge, also eine robuste, auch in länger andauernden Krisen und Katastrophen tragende Grundsicherung der Versorgung mit Lebensmitteln, Energie, Gesundheitsdienstleistungen, Schutzraum etc. muss angestrebt werden, getragen von einer Solidargemeinschaft, deren größter Feind eine ausufernde soziale Ungleichheit ist, welche die soziale Kohäsion unterminiert. Vertrauen bildet den Kit, der alles zusammen hält – Vertrauen ineinander und in die Institutionen, Vertrauen, das über demokratische Beteiligungsverfahren und transparente Kommunikation fortlaufend erneuert werden muss. In diesen Rahmen eingebettet gehört dann, was wir gegenwärtig irreführend Zivilschutz und Katastrophenschutz nennen, was aber nicht länger als zwei Säulen für sich stehen darf, sondern als Komponente eines größeren Ganzen – dem Allgefahrenmanagement eben – nur noch darauf gerichtet sein sollte, jene Schäden zu minimieren, die nicht durch Prävention verhindert werden konnten. Bevölkerungsschutz ist die „letzte Meile“ – je mehr wir davon brauchen, umso schlechter waren wir in der Prävention. Vorangestellt sind dem Bericht Lesehinweise sowie ein „soziologisches Vorwort“, das jedoch nicht als rein wissenschaftliches, sondern als Stellungnahme des Autors zu lesen ist. Sodann werde ich die Ausgangslage erörtern und über das Schutzziel des (zu definierenden) Bevölkerungsschutzes, Gesellschaften im Wandel, alte und neue Gefahren, Stärken und Schwächen des Bevölkerungsschutzes in Deutschland und Reformbedarfe schreiben. Im 4. Kapitel folgen dann Schlussfolgerungen mit „Lessons to learn“. Der Bericht endet mit Vorschlägen, die zum Nachdenken anregen sollen: Wie könnte der Weg zu einem Bevölkerungsschutz der Zukunft aussehen?
Erschienen
2022
Themen
Krisenvorbereitung & Prävention
Krisenbewältigung
Herausgeber*innen
Katastrophenforschungsstelle (KFS)
Autor*innen
Voss, Martin